Dienstag, 26. Februar 2013

Tanklastzugunglück Herborn 07. Juli 1987

Am 07. Juli 1987 explodierte ein mit rund 34.000 Litern Kraftstoff beladener Tanklastzug im Zentrum der Hessischen Stadt Herborn im Lahn-Dill-Kreis. Bei der Katastrophe kamen sechs Menschen ums Leben, 41 wurden verletzt und 44 obdachlos. 12 Gebäude brannten nieder und der Sachschaden belief sich auf rund 17 Mio. DM.


Der Unfallhergang 
Dienstag, 07. Juli 1987 - 18:00
In Koblenz setzt sich der erfahrene Fernfahrer Josef Vogt auf dem Hof der Spedition Hartmann hinter das Lenkrad seiner Zugmaschine und macht sich mit dem fünfachsigen Sattelzug auf den Weg. Seine Fracht: Ein bis zum Rand gefüllter Tankauflieger mit gut 28.000 Litern Benzin und rund 6.000 Litern Diesel: Bestimmungsort: Eine Tankstelle im Sauerland*.
Das Gespann begibt sich östlich von Koblenz auf die B 255, um an der Anschlussstelle Herborn-West auf die A 45 Richtung Dortmund aufzufahren. Der größte Teil der Fahrt, welche über Land und durch kleine Gemeinden führt, verläuft ruhig und scheinbar ohne jeden Zwischenfall - in einer der am Weg liegenden Gemeinden genehmigt sich der Fahrer sogar noch eine Bratwurst.

Dienstag, 07.Juli 1987 - 20:30
Der Sattelzug befindet sich immer noch auf der B 255 und nähert sich der Autobahn - es sind noch etwa 8 km bis zur Auffahrt. Die Straße wird nun abschüssig und nimmt 8% Gefälle an, weswegen hier für Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 7,5 t eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 60 km/h gilt. Dennoch verringert Josef Vogt erst kurz vor der Autobahnauffahrt die Geschwindigkeit des Tankzuges - zumindest versucht er das, denn bei jedem Tritt auf das Bremspedal muss er entsetzt feststellen, dass die Bremsen lediglich qualmen, anstatt eine Verringerung der Geschwindigkeit zu bewirken. Einzige Hoffnung: Herunterschalten in einen niedrigeren Gang, um die Motorbremse zu aktivieren - doch auch das gelingt ihm nicht. Da die Zugmaschine fast neu ist, verfügt sie über das neuartige EPS-System (Elektropneumatische Schaltung), welches zum Schutz von Motor und Getriebe das Einlegen eines niedrigeren Ganges bei zu hoher Drehzahl verhindert. Durch diese Schutzeinrichtung ist es Josef Vogt nicht möglich, vom eingelegten 7. Gang in den 6. oder 5. herunterzuschalten - und es kommt noch schlimmer: Das Getriebe nimmt nun gar keinen Gang mehr an und befindet sich im Leerlauf. Der Tankzug nimmt fahrt auf und donnert ungebremst und unbremsbar auf den Ortskern von Herborn zu, in welchem die B 255 mündet. Da Vogt die Auffahrt zur A 45 längst verpasst hat, ist die Katastrophe nun unausweichlich.

Dienstag, 07. Juli 1987 - 20:43
So wie in vielen Städten und Gemeinden klingt auch in Herborn dieser mit immer noch 24 °C lauschig warme Sommertag bei einem Spaziergang, einem Eis oder einem kühlen Getränk aus. Viele Menschen sind noch auf den Straßen unterwegs. Doch da kommt er, der Tankzug. Ein abendlicher Spaziergänger sieht vor Schreck erstarrt das 12 m lange fast 4 m hohe Ungetüm mit rot glühenden, qualmenden Bremsen und einer Geschwindigkeit jenseits der 100 km/h das Ortsschild passieren. Ein anderer Passant beobachtet wenige Meter vor dem Unglücksort, wie der Tankzug nur auf den linken Reifen um die scharfe Rechtskurve brettert, wo die Westerwaldstraße (B 255) in die Hauptstraße mündet.
Josef Vogt versucht die Kurve irgendwie zu meistern, doch hier scheitert der routinierte Fernfahrer. Beim Einlenken in die Kurve bricht der Auflieger aus und streift dabei die Ecke eines Sportgeschäfts (Sporthaus Seissler). Jetzt gerät der Tankzug völlig außer Kontrolle und neigt sich so weit nach links, dass er in der Kurve Westerwaldtraße / Hauptstraße auf die Seite kippt. Der Auflieger rutscht dabei in das Eiscafé Rialto, nachdem er die beiden Stützpfeiler des Hauses durchschlagen hat. Durch den Aufprall reißt der Tank und binnen Sekunden ergießt sich die gesamte Ladung in die Eisdiele, auf die umliegenden Straßen, in die Kanalisation und über die Abläufe für das Regenwasser auch in die Dill. In den Straßen steht der Sprit teilweise 40 cm hoch und wer trotz der Ereignisse bei klarem Verstand ist, sucht so schnell wie möglich das Weite. Auch Josef Vogt, der sich schwer verletzt aus dem Führerhaus seines Mercedes-Trucks befreit hat, warnt Passanten und andere in der Nähe befindliche Personen und fordert sie laut rufend auf, sich sofort in Sicherheit zu bringen.
Drei Minuten, nachdem der Tanker sich auf die Seite gelegt hat, erschüttert eine gewaltige Explosion das abendliche Herborn. Über der Unglücksstelle steigt ein 50 - 60 m hohe Stichflamme in den Himmel, die Dill ist ein Flammenmeer und in einem Umkreis von fast einem Kilometer zum Unglücksort fliegen schwere Kanaldeckel meterhoch in die Luft - das haus, in welchem sich Eisdiele und die Wohnung des Inhabers befinden stürzt bei der Explosion ein.

Die Folgen
Das Tanklastzugunglück von Herborn zählt zu den schwersten Brandkatastrophen in Deutschland und forderte insgesamt sechs Menschenleben. Fünf Personen - vier junge Frauen und ein junger Mann - kamen in den Flammen um und eine Seniorin erlitt in einer nahe der Unglücksstelle befindlichen Wohneinrichtung aufgrund der Ereignisse und der Ausdehnung des Brandes einen tödlichen Herzinfarkt. Erste Vermutungen, dass unter den Trümmern bis zu 50 Tote liegen könnten, bestätigten sich glücklicherweise nicht. Die Tatsache, dass die über der Eisdiele befindliche Pizzeria an diesem Dienstag Ruhetag hatte, trug mit Sicherheit auch dazu bei. Bedenkt man jedoch, dass das dem Eiscafé gegenüberliegende Fitness-Center City sehr gut besucht und ebenso wie die Eisdiele voll im Trend war, grenzt es fast schon an ein Wunder, dass auch hier keine weiteren Todesopfer zu beklagen waren.
41 Personen, unter ihnen auch der Unglücksfahrer Josef Vogt, erlitten teils schwere Verletzungen und weitere 44 Menschen wurden an diesem Abend obdachlos. 12 Gebäude brannten teilweise bis auf die Grundmauern nieder. Der Sachschaden belief sich insgesamt auf 17 Mio. DM.

Die Ursachen
Technisches Versagen
Die Ursache für das Tanklastzugunglück war letzen Endes ein Versagen der Hauptbremsanlange. Die Zugmaschine sowie der Auflieger waren mit druckluftbetriebenen Trommelbremsen ausgestattet, welche schon konstruktionsbedingt bei zunehmender Erhitzung etwas an Bremswirkung verlieren. Ausschlaggebend für diesen Unfall war jedoch, dass das Bremssystem undicht war und während der Fahrt Druckluft verloren hat. Anfangs reichte die verminderte Bremswirkung noch, um das Gespann abzubremsen. Auf der gefährlichen Gefällestrecke nach Herborn jedoch konnten die geschwächten Bremsen den schweren 40-Tonner nicht halten.
Als eine weitere Ursache wurde fälschlicherweise auch die damals noch sehr störanfällige Elektropneumatische Schaltung angeführt, denn sie hat verhindert, dass die Geschwindigkeit durch Herunterschalten in einen niedrigeren Gang gedrosselt werden konnte. Sie wurde 1985 auf der IAA vorgestellt und bei Daimler-Benz fast ausschließlich in schweren Nutzfahrzeugen der NG-Klasse und in Bussen vom Typ O 303 verwendet. Auch die Zugmaschine des Tankaufliegers war ein Daimler-Benz vom Typ NG (Neue Generation) und zwar ein 1635 S mit 260 KW (354 PS) und kurzer Fahrerkabine.
Nach eigenen Aussagen und denen von Ersthelfern am Unglücksort soll auch Josef Vogt mehrmals erwähnt haben, dass er auf der Strecke mit dem Getriebe nicht klar gekommen sei und dass es kurz vor dem Unglück überhaupt nicht mehr reagiert hätte. Eine Anklage gegen Daimler Benz wurde jedoch nicht erhoben. Das Unglück hätte mit einem herkömmlichen Getriebe ohne EPS zwar eventuell verhindert werden können, doch wurden keine Hinweise oder Beweise gefunden, dass ein werksseitiger Defekt zum Ausfall der Schaltung geführt hat. Im Gegenteil: Das EPS-System hat genau das getan, was es sollte - nämlich ein Herunterschalten in den Überdrehzahlbereich verhindert. Schwierigkeiten seitens des Fahrers mit dem Getriebe haben darin bestanden, dass die Schaltkulisse nicht wie bei einem herkömmlichen Getriebe H-Förmig angeordnet ist. Der Schaltknauf musste zum Einlegen eines höheren Gangs stets nach vorn und zum Herunterschalten stets nach hinten gedrückt werden. Die Kupplung blieb dabei solange gedrückt, bis der Gangwechsel vollzogen war. Mit diesem System hatten allerdings viele Fernfahrer Probleme, die jahrelang mit einer herkömmlichen Schaltung unterwegs waren. Der Grund war häufig eine mangelhafte Unterweisung seitens der Arbeitgeber. Technische Störungen bestanden hauptsächlich in der Nähe von elektromagnetischen Wellen u. ä., welche den Automaten durcheinandergebracht haben und das Getriebe deshalb nicht immer gleich reagierte.

Menschliches Versagen seitens des Fahrers
Dem Unglücksfahrer waren bei Fahrtantritt sowohl Mängel an der Bremsanlage, als auch die abschüssige Strecke vor Herborn bekannt. Allerdings ist es so, dass der 07.07.1987 der erste Arbeitstag nach einem einwöchigen Urlaub war und die Zugmaschine währenddessen von einem anderen Fahrer gefahren worden ist. Vielleicht hat sich der Zustand der Bremsanlage während dieser einen Woche weiter verschlechtert, wovon Josef Vogt jedoch nichts gewusst hat. Hier war nach eigenen Aussagen auch soviel Routine im Spiel, dass er geglaubt hat, den wohlgemerkt schon vor seinem Urlaub nicht mehr verkehrstüchtigen Tanker halbwegs sicher über die gefährliche Strecke bis ans Ziel zu bringen.
Allerdings hat Josef Vogt die Fahrt unterwegs in Rehe unterbrochen, um an einem Imbiss eine Bratwurst zu essen. Laut Zeugenaussagen soll er ratlos um seinen Sattelzug gegangen sein - so als würde etwas nicht stimmen. Die Zeugen wollen einen Sattelzug mit Koblenzer Kennzeichen gesehen haben, doch ob es tatsächlich die Zugmaschine mit dem amtlichen Kennzeichen KO - RY 855 war, konnte nicht einwandfrei bezeugt werden. Andererseits konnte die Polizei an diesem Tag zu dieser Zeit auch keinen anderen Tankzug in der Gegend ausmachen. Vogt wiederrief seine Aussage, hier eine Wurst gegessen zu haben und gab an, dass es wohl eher in Ailertchen (noch 15 km vor Rehe) gewesen war, wo er angehalten hat um seine Wurst zu essen. Technische Probleme will er erst auf Höhe des Rastplatzes Hörbach, also unmittelbar vor der Auffahrt zur A 45 bzw. vor Herborn bemerkt haben.
Dennoch schloss die Staatsanwalt daraus, dass Josef Vogt in Rehe gehalten hat und hier, 30 Kilometer vor Beginn der gefährlichen Gefällestrecke bemerkte, dass das Bremssystem Druckluft verliert - Druckluft, welche auch zum Betätigen der Elektropneumatischen Schaltung benötigt wurde. In dem Moment, als er sich trotz der nun ganz offensichtlich nicht mehr betriebsfähigen Bremsanlage wieder hinter das Lenkrad setze und den Motor zur Weiterfahrt zum Zielort startete, versagte er laut Staatsanwaltschaft als Mensch und legte die Karten gegen fünf junge Menschen. Hier hätte er die Fahrt abbrechen und den Tanklaster stehenlassen müssen.
Dafür, dass er während der anschließenden Höllenfahrt nicht herunterschalten konnte, konnte er nichts. Ebensowenig lag es in seiner Verantwortung, dass er den Tanklastzug mit einer Geschwindigkeit von rund 100 km/h in der engen Rechtskurve nicht halten konnte und ihn auf die Seite legte. Josef Vogt wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Menschliches Versagen seitens des Spediteurs
Spediteur Hanspeter Hartmann wurde der Löwenanteil an menschlichem Versagen zugeschrieben und er gilt auch als eigentlicher Verursacher der Katastrophe. Ihm gehörten Zugmaschine und Tankauflieger, die verunglückten und auch er wusste um den nicht verkehrstauglichen Zustand des Gespanns. Trotzdem ließ er die Tanks füllen und schickte Josef Vogt mit dem 40-Tonner auf die Straße.
Während Vogts Urlaub soll sich der zwischenzeitliche Fahrer des Gespanns mehrfach über den desolaten Zustand der Bremsen und defekte Ventile am Auflieger beschwert haben. Der Chef wiegelte ab. Auch der Werkstattleiter der Spedition, der damals 28 Lastzüge zu warten hatte, forderte den gesamten Tankzug mehrfach zur Generalüberholung an. Auch hierüber setzte sich Hartmann hinweg und ließ das Gespann immer wieder auf den Verkehr los. Noch am Unglückstag selbst hatte sich ein Fahrer mit benzinnassem Hemd beschwert und der Werkstattleiter nach eigenen Aussagen darüber verfügt, dass der Tankzug auf dem Hof zu bleiben hat, da er nicht verkehrstauglich ist. Als er Feierabend machte, sah er Zugmaschine und Auflieger auch tatsächlich auf dem Hof stehen - kurze Zeit später kam Josef Vogt und trat mit Wissen und auf Maßgabe des Chefs die (letzte) Fahrt mit dem maroden Gespann an.
Der Spediteur wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

Konkurrenzkampf und Angst um den Arbeitsplatz
Die Schuldigen sind gefunden und verurteilt worden, doch müssen fairerweise nun auch die Hintergründe für ein solch unverantwortliches Handeln beleuchtet werden.
Auf den Straßen herrschte damals schon ein großer Konkurrenzkampf der deutschen Speditionen untereinander und zusätzlich drängten sich immer mehr ausländische Transporter auf Deutschlands Straßen. Zeit ist Geld, Fracht ist Macht und das Geschäft war härter denn je. Hanspeter Hartmann war zu dieser Zeit gerade als Juniorchef in das Familienunternehmen eingestiegen und musste sich mit der vergleichsweise kleinen Spedition gegenüber den anderen, größeren behaupten - er wollte nicht der sein, der das Familienunternehmen an die Wand fährt. Da blieb vermutlich gar nicht immer die Zeit, die Lastzüge gründlich warten zu lassen, denn jede Minute, die sie nicht auf der Straße sind, kostet Geld. In diesem Punkt ist übrigens auch ein Versagen der Gesellschaft zu sehen - und zwar in dem Sinne, als dass immer mehr Waren in immer kürzerer Zeit zu immer niedrigeren Preisen gefordert werden.
Und der Fahrer? Der Chef hatte ihn angewiesen, mit genau diesem Tankzug zu fahren und Josef Vogt hat getan, wie ihm geheißen. Was wäre passiert, wenn er sich widersetzt hätte? Was wäre passiert, wenn er die Fahrt abgebrochen hätte? Das sind alles Fragen, die man sich in solch einer Situation auch stellen muss. Wie wäre das eigene Verhalten gewesen? Hier beeinflusste ihn vermutlich zusätzlich auch wieder die langjährige Berufserfahrung, angesichts derer er über die gefährliche Fracht nicht weiter beunruhigt war und trotzdem mit den verschlissenen Bremsen losfuhr.

Die Konsequenzen
Welche Lehren wurden aus dem Tanklastzugünglück gezogen? Die Ereignisse von Herborn haben in der Bundesrepublik eine groß angelegte Sicherheitsdebatte über Gefahrguttransporte angestoßen und der damalige Bundesverkehrsminister Jürgen Warnke kündigte verschärfte Sicherheitsbestimmungen und Kontrollen an. Auch begannen Hersteller von LKW und Tankaufliegern nicht zuletzt durch dieses Unglück damit, die Sicherheit von solchen Fahrzeugen vor allem im Bereich der Bremsen zu erhöhen. Fortan wurden verschleißfrei arbeitende Bremssysteme entwickelt und auch solche Sicherheitssysteme wie ABS und ASR gewannen immer mehr an Bedeutung. Zudem stellte Herborn neben anderen Unglücken mit Tankfahrzeugen - zu nennen wären hier der Untergang der Amocco Cadiz am 16. März 1978, das Tanklastzugunglück von Los Alfaques am 11. Juli 1978 sowie auch der Untergang der Exxon Valdez im März 1989 - die bisherige Konstruktion von Tankfahrzeugen in Frage. Die bis dahin überwiegend verwendeten einwandigen "Blechdosen" wurden durch einen doppelwandigen Tankaufbau abgelöst. Zudem erhielten Tankauflieger einen niedrigeren Schwerpunkt.
Um die Stadt Herborn selbst besser vor solchen Ereignissen zu schützen, wurden die Autobahnauffahrt sowie auch die Zufahrt zur Stadt umgebaut. Zudem wurde kurz vor der Ortseinfahrt eine Notfallspur eingerichtet, auch welcher Fahrzeuge mit zu hoher Geschwindigkeit gefahrlos ausrollen können. Überdies wurde ein Fahrverbot für Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 7,5 Tonnen verhängt - an welches sich jedoch nicht immer gehalten wurde. 1992 krachte es erneut in Herborn: Diesmal landete ein mit Ziegelsteinen beladener 40-Tonner in einem Haus. Daraufhin wurde im Bereich der Notfallspur eine Schikane erreichtet, die nur mit 30 km/h durchfahren werden kann und alle Fahrzeuge mit einer höheren Geschwindigkeit zwangsläufig auf die Notfallspur schickt.

Schlussbetrachtung
Das Tanklastzugunglück von Herborn hat zu Neuerungen und Veränderungen beigetragen, welche die Beförderung von Gefahrstoffen technisch sicherer gemacht haben. Das technische Versagen wurde jedoch erst durch menschliches Versagen ermöglicht und auf diesem Gebiet - dem Faktor Mensch im Gefahrguttransport - hat sich bis heute leider nicht sehr viel getan.
Täglich werden bei Kontrollen Gefahrguttransporter und andere Sattelzüge aus dem Verkehr gezogen, da sie nicht verkehrstauglich, falsch beladen oder unzureichend gesichert sind. Erst kürzlich habe ich in einer Reportage des NDR etwas über den Umschlag am Lübecker Hafen gesehen und unter anderem ging es dabei um die Sicherung von Ladungen in Aufliegern, welche per Schiff an ihren Bestimmungsort gebracht werden. Es ist erschreckend, welche Missstände die Hafenpolizei - oder war es der Zoll? - dort leider nur stichprobenartig haben aufdecken können.
In einem Falle standen Fässer mit insgesamt 1,8 t hochentzündlichen Substanzen gänzlich ungesichert in einem Auflieger. Ein anderer Sattelzug stand trotz Beladung mit Gefahrgut nicht im Sicherheitsbereich und war auch äußerlich nicht als Gefahrguttransporter deklariert; d.h. sämtliche Beschilderung fehlte.
Warum Ladung ungesichert im Auflieger hin- und herfliegt oder teilweise auch durch die Plane marschiert und auf der Straße landet? Geld! Warum Gefahrguttransporte nicht als solche deklariert werden und im Falle eines Unfalls niemand genau weiß, welche Gefahren bei einem Unfall von dem Gefährt ausgehen? Geld!
Die gleichen Gründe, aus welchen 1987 die falschen Entscheidungen getroffen wurden, könnten auch noch heute, 26 Jahre nach dem Tanklastzugunglück von Herborn, jederzeit wieder zu einer Katastrophe führen, bei der brennbare, giftige oder ätzende Substanzen freigesetzt und Menschenleben gefährdet werden. Was nützen Vorschriften, wenn sich aus Kostengründen niemand daran hält? Die Richtlinen werden bewusst nicht eingehalten, da es rechnerisch günstiger ist, ein paar Mal Strafe für ungesicherte und falsch deklarierte Ladung zu bezahlen, als die Ladung vor jeder Fahrt fachgerecht zu sichern bzw. einen Gefahrguttransporter in bestimmten Situationen als solchen zu kennzeichnen.
Die Konstrukteure von Gefahrguttransportern haben gelernt und die Politik hat auch ihre Schlüsse aus Katastrophen wie in Herborn gezogen. Nur die Gesellschaft hat noch nichts gelernt aus solchen Ereignissen, da nach wie vor immer mehr immer schneller zu immer niedrigeren Preisen verlangt wird. Die Preise, die die Gesellschaft für Güter aller Art fordert, sind durch einen vorschriftsmäßigen Transport oftmals nicht zu halten. Der Konkurrenzkampf auf der Straße ist groß und es scheint so, dass Geld nur noch derjenige verdient, der die niedrigsten Preise bietet, die Lenkzeiten modifiziert, bei Wartungen spart und Sicherheitsbestimmungen so weit wie möglich außer Acht lässt.

Als Mahnung für die Risiken beim Transport von Gefahrstoffen ist das ausgeglühte Wrack des Tanklasters sowie eine Fotostrecke des Unglücks bei der DASA in Dortmund zu besichtigen.

*In einer Reportage wurde als Bestimmungsort eine Tankstelle in Hallgarten im Sauerland genannt. Hallgarten liegt jedoch etwa 180 km vom Sauerland entfernt - vielleicht sollten Tankstellen im Sauerland und in Hallgarten beliefert werden. Wäre der Tankzug von Koblenz nur nach Hallgarten gefahren, wäre der Weg Richtung Herborn zur A45 gar nicht erforderlich gewesen. Wäre er jedoch zuerst ins Sauerland gefahren und hätte sich von dort auf den Weg Richtung Hallgarten gemacht, würde sich der Kreis in Richtung Koblenz wieder schließen.

© C. Müller

Quellen:
Die Brandkatastrophe von Herborn - Dossier auf hr-online.de
Der Spiegel 04/1990: ...nicht die Technik als solche
Die Zeit, Ausgabe 15/1989: Makabre Fragen - Die Angeklagten fühlen sich nicht schuldig
Die Zeit, Ausgabe 03/1990: Suche nach dem Sündenbock - Prozeß um Tanklaster-Unfall
Die Welt, 03.07.1997: Aus Herborn wurden die Lehren gezogen

Schomers, Michael: Giftig, ätzend, explosiv, Hamburg 1988, S. 161ff.

Bildmaterial (Gefällestrecke / Notfallspur) mit freundlicher Genehmigung des hr.


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